Interviews mit José Vicente, Direktor der Faculdade Zumbi dos Palmares und John Milton, Professor an der Universität São Paulo

Exklusives Interview mit José Vicente vom 28. September 2020.

Im Gespräch mit Silvio Tamaso D’Onofrio.

 

(Silvio D’Onofrio) Professor José Vicente, sind sie in Ihrer Kindheit oder in Ihrer Jugend mit Monteiro Lobatos Werk für junge Leser*innen in Berührung gekommen? Haben Sie die Bücher über den Sítio do Pica-Pau Amarelo [der Hof des Gelben Spechts] gelesen?

José Vicente: Ja, bin ich. Das Werk gehörte in der Schule zur Pflichtlektüre. In der Schule waren diese Klassiker immer Teil des Lehrplans, weshalb zu meiner Zeit alle jungen Leute mit den Werken Monteiro Lobatos lesen lernten. Und vieler anderer Autoren, nicht wahr?

(SD) Erschienen Ihnen manchmal die Begriffe, die Art und Weise, wie die Geschichten erzählt wurden, beispielsweise in der Darstellung von Tia Nastácia, unangebracht?

Lässt sich Ihrer Meinung nach in diesen Formulierungen aus der Kinder – und Jugendliteratur Monteiro Lobato eine sarkastische oder sogar böswillige Absicht unterstellen? Oder sind sie vielmehr das Werk von jemandem, der wusste, dass er sich an ein junges Lesepublikum wandte und sich deshalb kreativer Freiheit in seinen Ausdrücken bediente, was nachträglich vielleicht Raum für Zweifel geschaffen haben mag? Wie würden Sie das deuten?

José Vicente: Während meines Studiums habe ich mich nicht eingehend mit dem Werk befasst und konnte daher keine kritische Einschätzung dieser Art abgeben. Aber selbst mit der Befähigung zu einer solchen Einschätzung kann ich auch jetzt nicht bestätigen, dass eine solche Absicht hinter der Handlung steckt.

Ob nun beabsichtigt oder nicht, der verursachte Schaden bleibt so wie seine Aus – und Nachwirkungen. Bei den resultierenden Versuchen zur Wiedergutmachung besteht die Gefahr, das konkrete Bedürfnis außer Acht zu lassen, diese Dimensionen wie die Diskrepanz zwischen Minderwertigkeit und Überlegenheit, der Furcht vor dem Fremden oder Anderen, von Intoleranz und Ähnlichem hervorzuheben.

Tatsächlich handelt es sich um sehr konzentrierte Bemühungen, die schließlich die Wahrnehmung des Werkes und des Autors beeinflussen können und damit eine Diskussion eröffnen, die, auch in Anbetracht dessen, was später Gegenstand öffentlicher Aufmerksamkeit, das Werk und die Absicht des Autors als auch ihre Einschätzung in immer stärkeren Zweifel gezogen hat.

 

Exklusives Interview mit John Milton vom 16. November 2020.

Im Gespräch mit Silvio Tamaso D’Onofrio.

 

(Silvio Tamaso D’Onofrio) Professor, welche Bedeutung hat Lobato für die Übersetzungswissenschaften?

John Milton: Lobato hat die Bedeutung der Übersetzung für Brasilien betont. Den brasilianischen Leser*innen eröffnete sich mittels der Übersetzung der Blick auf die ganze Welt, über den Tellerrand hinaus, der bis dahin nur portugiesischsprachige Literatur und französischsprachige Literatur in Übersetzung umfasste.

Lobato brachte die Übersetzung englischsprachiger Literatur in den Fokus der Verlagswelt. Ihm ist es teilweise zu verdanken, dass wir heute eine so große Vielfalt an Literatur aus anderen Ländern haben, die in Brasilien übersetzt wird.

(SD) Was hat Sie außer den auf Übersetzung bezogenen Aspekten noch dazu motiviert, ein Buch über Monteiro Lobato zu schreiben?

John Milton: Ich begann, mich für den Themenbereich der Adaption zu interessieren und dabei fiel mir auf, dass die Neuerzählungen von Dona Benta wie As Fábulas, die Episode des Hans Staden im D. Quixote das Crianças und Peter Pan eine sehr interessante Form von Adaption sind. Durch die Neuerzählungen gelingt es Lobato, seine eigenen Ideen in den Geschichten darzulegen. Es sind nicht länger die Werke von Staden, J.M. Barrie, Cervantes oder Aesop, vielmehr sind es Werke Lobatos, in die er seine Ansichten über den maroden brasilianischen Staat unter Vargas Regierung (Peter Pan), die Brutalität der spanischen und portugiesischen Eroberer Lateinamerikas, Kinder – und Jugendliteratur (Peter Pan) und über soziale Ungleichheiten (Fábulas) einfließen lässt. Das ist das zentrale Konzept meines Buches Um País se faz com Tradutores e Traduções: A Importância da Tradução e da Adaptação na Obra de Monteiro Lobato (Martins Fontes 2019) [Ein Land wird gebildet aus Übersetzern und Übersetzungen: die Bedeutung der Übersetzung und der Adaption im Werk von Monteiro Lobato].

 

 

 

 

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